Von Sophie-Caroline Kosel (dpa)
Er zählte zu den Großen des DDR-Theaters und stand bis kurz vor seinem Tod auf der Bühne.
Eine West-Berlinerin sah den Schauspieler Eberhard Esche nach dem Mauerfall das erste Mal auf der Bühne - und es entwickelte sich eine Brieffreundschaft.
Sie weiß, wie er aussieht. Wie er spricht, wie er schreit, wie er flüstert. Für ihn ist sie hingegen ein echtes Blind Date. Und doch entsteht zwischen beiden schnell eine enge Bindung. Auf dem Papier. Eine begeisterte Theater-Zuschauerin schrieb dem Schauspieler Eberhard Esche (1933-2006) nach einer Vorstellung im Jahr 2003 einen Brief voll des Lobes.
Der Mime, der einer der Großen des DDR-Theaters war und zu jener Zeit fast 70 Jahre alt, antwortete ihr ausführlich. Ein Briefwechsel entspann sich.
Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod des Schauspielers hat dessen Tochter seine Briefe in einem Buch veröffentlicht: »Die Kunst zu dienen. Briefe an eine Theaterenthusiastin« (Eulenspiegel).
In Zeiten knapper Sprache via WhatsApp, Twitter und Co. wirken die ausführlichen Korrespondenzen wie aus einer längst vergangenen Zeit - ebenso der höflich-charmant-ironische Umgangston des Schauspielers.
Schauspieler Eberhard Esche stand rund 50 Jahre auf der Bühne
Esche schreibt: »Ich bedanke mich sehr für Ihren so lobenden Brief. Ich gestehe, ich lese Lob gern. Fast lieber, als es zu hören. Denn beim Lesen kann man es immer wieder lesen, beim Hören eben nur das eine Mal hören. ... Andererseits, wenn ich so Feines zu lesen bekomme, hätte ich schon den Wunsch, dass das, was ich höre, ich auch zu sehen bekomme. Allerdings ist dann die Frage offen, ob Sie mich gelobt hätten.«
Und zur Eitelkeit gesellt sich Ehrlichkeit: »Es ist lieb, dass Sie nur von einem Hänger sprechen - liebe Dame, ich hatte 6 (sechs!)«. Der erste Brief schließt schließlich mit der Aufforderung: »Wann loben Sie mich wieder? Ihr Eberhard Esche.«
Die Zuschauerin - eine West-Berlinerin, die sich erst nach der Wende in Ost-Berliner Theater begab - besuchte fortan regelmäßig Vorstellungen von Esche. 50 Jahre lang stand er auf der Bühne. Rund 45 Jahre spielte er am Deutschen Theater, vor allem in anspruchsvollen Klassikern. »Jede Vorstellung war und ist für mich immer: die erste. Deshalb auch die Angst, die bis heute anhält, vor jeder«, schreibt er.
»Ich bin der Tanzbär im Hellen und Sie sind die Dame im Dunkel«, beschreibt Esche die Beziehung der beiden. Im April 2003 berichtet er mit Blick auf die nächste Vorstellung, zu der die Zuschauerin sich angekündigt hat: »Den Text bimse ich schon wieder seit Tagen. Wenn das Wetter besser wird, noch mehr. Denn gebimst wird während der notwendigen Gartenarbeit. Wenn Sie fragen täten, was ich lieber täte, bimsen oder Gartenarbeit, wäre die einfache und ehrliche Antwort: Gartenarbeit. Der Nachteil davon wäre nur der, dass ich keine solchen Briefe mehr bekäme.« Im Alter war der Schauspieler aus Berlin nach Brandenburg übergesiedelt.
Eberhard Esche starb im alter von 72 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit
Der Mime schildert der Zuschauerin, die ihn eines Tages schließlich auf dem Land besucht, auch seinen Frust über die Entwicklungen nach dem Mauerfall. Die Deutsche Einheit nennt der gebürtige Leipziger »Veruneinigung«.
Gar kein gutes Haar lässt der Künstler an manchen Berufsgruppen: Journalisten nennt er „Gesindel“, Politiker sind für ihn »korrupte Nieswurze«. »Ich sage es ungern, aber oft: Mir wäre lieber, wir wären von Portugiesen oder Spaniern besetzt worden, die über Erfahrungen im Kolonialwesen verfügen, als von ungelernten Kräften auf das Tölpelhafteste regiert zu werden.«
Über die Arbeitslosenzahlen sagt der Schauspieler: »Lösungsmöglichkeiten gäbe es schon, das weiß jedes Kind. Wenn der Pudding für eines zu viel ist, dann teilt man den Pudding mit dem anderen, dann hat jeder Pudding. Das heißt, wenn es zu viel Arbeit für wenige gibt, dann teilt man die Arbeit für viele.«
Im Alter von 72 Jahren starb Esche nach kurzer schwerer Krankheit. Seine Tochter schreibt im Vorwort des Buchs: »Ich staune heute, dass Du, der sich geradezu wehrte gegen jegliche Fremdbestimmung, zugelassen hast, dass eine anonyme Zuschauerin eindringen durfte in Deine Welt. ... Ich staune weiter über Deine Geduld in Euren Zwiegesprächen. Das absolute Gegenteil habe ich in Erinnerung.« (dpa)