Nun ist es soweit: Das neue Buch »Eh ichs vergesse. Satirische Zeitensprünge« von Wolfgang Schaller ist wieder lieferbar!
In seinen 50 Jahren als Autor am Dresdner Kabarett »Herkuleskeule« und 30 Jahren als Kolumnist der »Sächsischen Zeitung« wurde Wolfgang Schaller wie kaum ein anderer im Osten satirischer Chronist der Jahre vor und nach dem Jahr Null der neuen Zeitenrechnung. Seine Texte sind mal heiter oder nachdenklich, mal komisch oder böse provokant.
Um Sie sofort auf den Geschmack zu bringen, gibt´s hier gleich eine kleine Leseprobe aus dem Buch:
2015 – Ein Systemvergleich
Früher wars schlechter
ohne dass heute alles besser ist, was schöner war
Der Sommer ist sehr groß, und die Schatten fallen nur aus den Nachrichten in der Zeitung, die neben mir ein Mann im Strandcafé liest. Ich kann die Titelzeile MILITÄRPUTSCH lesen, mein Blick war zu auffällig, jedenfalls sagt der Mann: »Es weiß ja keiner, wer’s war. Vielleicht wars der Erdogan selber.« – »Oder Jan Böhmermann«, witzele ich. Der Mann sagt: »Da wurden ja gleich achtzigtausend aus dem Staatsdienst entlassen.« Nach dem Aufstand gegen Honecker wurden dreihunderttausend aus dem Staatsdienst entlassen, denke ich, weiß aber sofort, dass das ein unsinniger Vergleich ist, denn die Entlassenen wurden ja nicht wie in der Türkei gefoltert, wofür ich meinen Freunden aus den alten Bruderländern dankbar bin. Ich nehme meinen Blick von der Zeitung, aber gegen nostalgische Gedanken wehre ich mich nicht, ich bin ja extra an diesen Ort meiner Jugendjahre zurückgekehrt: Wo ich jetzt sitze und am Kaffee nippe, den ein Kellner auf silbernem Tablett serviert hatte, saß ich als Sechzehnjähriger kauend an einer Bockwurst, die ich mir schlangestehend an der Selbstbedienung für achtzig Pfennige erkämpft hatte. Der Senf kleckerte damals vom Pappteller auf die Tischdecke aus Igelit, und irgendwann rief die Bedienung in die Schlange: Der Senf is alle! Es war damals nur dieser Raum freigegeben, die restliche verfallene Hotelanlage versperrte ein Schild BETRETEN VERBOTEN. Ich trug meine Gitarre auf dem Rücken, abends auf dem Zeltplatz sangen wir am Lagerfeuer von den Partisanen vom Amur. Die Hotelruine stand nahe an einem FKK-Strand, wo wir uns tags nackt in den Sand warfen und den Mädchen aufs zweischenklige Dreieck lugten. Wir fühlten uns frei und wir waren jung und uns gehörte die Zukunft. Du hast ja ein Ziel vor den Augen. Erzähle mir bitte keiner, wie schrecklich das damals für uns war, wie eng, wie unfrei. Nein, es war eine Hoffnung. Wir wollten ein anderes Deutschland. Es ist kläglich gescheitert, aber wir haben es versucht. Wer es nie versucht hat, sollte schweigen. Wir wussten nichts von Stalins Gulag und von Ulbrichts Schauprozessen gegen Andersdenkende. Wir träumten von einer gerechteren Welt. Wir wussten nicht, dass aus Träumen Albträume werden können. Jung sein ist der einzige Aggregatzustand, in dem man nichts gewusst haben darf.
Der Mann mit der Zeitung verlässt das Café im neuen Grand-Hotel. Der freundliche Kellner fragt, ob ich speisen möchte, und ich sage: »Danke, nur den Kaffee, bitte zahlen.« Dem Kellner flieht die Freundlichkeit aus dem Gesicht. Ich war im Auto hierher gekommen. Vor dem Portal haltend, riss mir ein rotbefrackter Diener mit Zylinder die Tür auf. Nein, es ist kein Neger, stellte ich erleichtert fest und übergab ihm meinen Wagen. Ein Dobermann zog an der Leine einen berühmten Modedesigner hinter sich her. Das Hotel ist für Hunde erlaubt. Für Kinder verboten. Es ist ein sehr schönes Hotel. Nebenan am Strand ist jetzt FKK verboten. Der Kellner spannt den Sonnenschirm auf. Der Sommer ist sehr groß.