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Lou Zucker im Interview:
Ich habe das Buch »Geschichte im Brennpunkt – Clara Zetkin: Eine rote Feministin« geschrieben, weil ich finde, dass Feminismus zwar im Mainstream angekommen ist, aber eben nur eine ganz bestimmte Art von Feminismus. Nämlich eine, mit der Unternehmen gut ihre Produkte verkaufen können, die aber bitte nicht nach den Arbeitsbedingungen der Frauen fragt, die in diesem Unternehmen die Klos putzen. Ich will einen Feminismus, der sich für alle Frauen und Queers einsetzt und der Ausbeutungsverhältnisse im Allgemeinen abschaffen will. Genau dafür hat Clara Zetkin ihr Leben lang gekämpft und ich glaube, dass wir als Feminist*innen viel von ihr lernen können.
Was fasziniert Sie an Clara Zetkin?
Eine Sache, die mich an Clara Zetkin fasziniert, ist: Sie hat quasi hauptberuflich Reden gehalten, vor tausenden von Menschen. Und das, obwohl sie richtig schlimme Redeangst hatte. Noch extremer als sie jünger war, aber auch noch kurz vor ihrem Tod hat es ihr schon Wochen vorher Bauchschmerzen bereitet, wenn sie wusste, sie muss vor Publikum sprechen und sie hat es trotzdem immer und immer wieder gemacht und offenbar auch richtig gut. Mich fasziniert Claras Leidenschaft. Deshalb waren wahrscheinlich auch ihre Reden so mitreißend, deshalb konnte sie so gut mobilisieren. Sie hat bis zum Schluss aus tiefstem Herzen gebrannt für die Vision von einer gerechteren Welt und einem guten Leben für alle. Wenn sie Leid gesehen hat, wenn beispielsweise Arbeiterinnen ihr von ihren Lebensbedingungen erzählt haben, dann hat sie das ehrlich und tief berührt. Und dann war ihre Antwort nicht nur: Na ja, nach der Revolution wird das schon, sondern dann hat sie zugehört und wo sie konnte in dem Moment praktische Unterstützung geleistet.
Was bedeutet »rote Feministin« genau?
Als Feministin hätte sich Clara Zetkin selbst gar nicht bezeichnet, der Begriff wurde damals auch noch nicht so verwendet. Clara Zetkin war in erster Linie Sozialistin. Aber innerhalb der damaligen SPD und später in der KPD hat sie sich immer für die Rechte der Frauen stark gemacht und innerhalb der Frauenbewegung hat sie sich immer für die Arbeiterinnen stark gemacht. Sie war überzeugt, dass wir für die Freiheit der Frau Sozialismus brauchen – aber sie war auch überzeugt, dass wir die Frauen brauchen, um Sozialismus zu erkämpfen. Und dass sie, um diesen Kampf zu führen, schon ein gewisses Maß an Freiheit und Gleichheit in ihrem Alltag und in der Bewegung benötigen.
Es gab damals auch eine bürgerliche Frauenbewegung, die beispielsweise Zugang zu den sogenannten „höheren Berufen“ gefordert hat, anstatt sich für die Arbeiterinnen in den Fabriken einzusetzen oder sich auch mit einem Wahlrecht nur für alleinstehende Frauen mit Grundbesitz zufriedengegeben hat. Mit dieser bürgerlichen Frauenbewegung wollte Clara nichts zu tun haben. »Rote Feministin« bedeutet in diesem Fall für mich: Clara wollte keine Privilegien für einzelne gut situierte Frauen, sondern Freiheit für alle, auch und besonders für diejenigen, die damals in ihrer Gesellschaft die meiste Unterdrückung erfahren haben, und das waren die Arbeiterinnen.
Was würde Clara Zetkin zur Gleichstellung der Frau in Deutschland heute sagen?
Ich wünsche ihr nicht, dass sie noch mal aufersteht. Wenn Clara Zetkin sich den Stand der Gleichstellung in Deutschland heute angucken könnte, wäre sie wahrscheinlich völlig entsetzt. Sie würde sagen, ok, ihr habt der bürgerlichen Frauenbewegung komplett das Feld überlassen, wenn von Gleichstellung die Rede ist, dann sind damit Frauenquoten in Dax-Vorständen gemeint, aber niemand interessiert sich für die Arbeitsbedingungen der Frauen, die die Büros dieser Dax-Vorstände putzen. Wie kann das sein?
Was kann der Feminismus heute von Clara Zetkin lernen?
Ich glaube, Feminismus heute kann sehr viel von Clara Zetkin lernen.
Feminismus muss antikapitalistisch sein. Denn Kapitalismus funktioniert nicht ohne Ausbeutung, das heißt, innerhalb dieses Systems können wir niemals wirklich Gleichheit für alle erreichen.
Wir können von ihr lernen, dass Feminismus für alle Frauen kämpfen muss, auch für die, die am meisten von Ausbeutung und Unterdrückung betroffen sind. Und wenn wir das machen wollen, dann müssen wir diesen Frauen zuhören und ihre Lebensrealität kennenlernen, um zu verstehen, was sie brauchen, um diesen Kampf überhaupt führen zu können.
Claras Feminismus war internationalistisch, das heißt, sie hat sich immer mit anderen sozialistischen Frauen aus anderen Ländern vernetzt. Mit diesem internationalen Frauennetzwerk hat sie den 8. März gegründet und bis zuletzt versucht, den ersten Weltkrieg zu verhindern, als die männlichen Sozialisten schon längst alle dafür waren. Mit internationaler Solidarität meine ich aber auch, dass sie sich immer gegen den deutschen Kolonialismus eingesetzt hat. Oder dass einmal acht junge Schwarze Männer in den USA aus rassistischen Motiven ermordet wurden und Clara hier in Deutschland zu Solidaritätskundgebungen aufgerufen hat.
Claras Feminismus war antifaschistisch, weil sie wusste: Der Faschismus macht allen möglichen Bevölkerungsgruppen, auch den Frauen, viele Versprechen, aber am Ende wird er sich immer gegen sie und alle Arbeiter*innen richten.
Ich glaube, Clara würde uns heute sagen: Leute, ihr braucht eine Massenbewegung. Ihr braucht mit eurem Feminismus eine Vision von einem besseren Leben für alle, in der sich Menschen aller möglichen Geschlechter und Berufsgruppen und Bevölkerungsschichten wiederfinden und sagen können, ja, das ist auch mein Kampf.
Was haben Sie mit Clara Zetkin gemeinsam/Wie sind Sie durch die Arbeit am Buch
nähergekommen?
Clara und ich haben beide eine chronische Krankheit und schaffen es beide irgendwie trotzdem unser Ding zu machen. Es gibt mir einerseits Kraft, zu sehen, dass sie als eine Person, die immer wieder extrem mit ihrer Gesundheit zu kämpfen hatte, trotzdem so politisch aktiv war. Gleichzeitig ist sie in diesem Punkt auch wieder kein Vorbild für mich, weil sie ein totaler Workaholic war und die Grenzen ihres Körpers immer wieder völlig missachtet hat. Wir haben beide oft Selbstzweifel, ob das, was wir machen, wirklich gut ist, ob wir irgendetwas wirklich gut können. Mit Mitte Zwanzig, als sie aus Paris Artikel für verschiedene sozialistische deutsche Zeitungen schrieb, schrieb sie einmal an ihren Freund Karl Kautsky: »… und wenn ich der Post nachlaufen und sie aufhalten könnte, täte ich das sicherlich!« Ich glaube aber, das hat sich sowohl in Claras als auch in meinem Leben mit der Zeit gebessert.
Ich glaube, es fällt uns beiden nicht leicht, zu akzeptieren, dass wir ein wertvoller Mensch sind, auch wenn wir gerade keine Leistung erbringen – zum Beispiel, weil wir krank sind. Eine Sache in Claras Leben, in der ich mich sehr wiederfinde, ist die Rolle, die Freundschaften für sie gespielt haben. Clara hatte immer sehr enge Freundschaften, vor allem zu anderen Frauen und hat auch politisch immer eng mit anderen Frauen zusammengearbeitet. Das wichtigste Beispiel ist natürlich ihre Freundschaft zu Rosa Luxemburg. In ihrem Haus waren immer alle willkommen, sie hat, auch als sie noch mit ihrem damaligen Mann in Paris in einer ganz kleinen Arbeiterwohnung wohnte, Salons veranstaltet und alle eingeladen. Diesen Stellenwert, den Freundschaft zu jedem Zeitpunkt in ihrem Leben eingenommen hat, das fühle ich auf jeden Fall auch so.
Worüber würdet Ihr Euch vermutlich streiten?
Ich habe keine Ahnung wie Clara Zetkin zu Queerfeminismus stehen würde – aber wenn sie da wenig Verständnis für hätte, würde ich mich mit ihr streiten. Sie war auf der einen Seite sehr warmherzig und empathisch, ich glaube, sie hatte aber auch eine sehr strenge, gebieterische, kontrollierende Seite, so wie sie auch sehr streng und kontrollierend gegen sich selbst war. Sie war Sowjetrussland und allem, was da ab der Revolution passierte, gegenüber vollkommen unkritisch. Sie hat Russland und die russische Revolution geradezu verherrlicht. Sie war zum Teil sehr dogmatisch und kompromisslos. Ich verstehe auch was sie meinte, wenn sie gesagt hat, dass große Teile der Bevölkerung im Faschismus ein Weltbild gesucht haben, das ihnen Halt gibt und wenn die kommunistische Partei nicht eine »ideologisch fest geschlossene Einheit« ist, kann sie niemandem Halt geben. Ich wäre aber vielleicht ein bisschen weniger dogmatisch als sie und ein bisschen kritischer allen »ideologisch fest geschlossenen Einheiten« gegenüber…
Und – die Frau war ja ein totaler Workaholic, krankhaft arbeitssüchtig, das wusste sie auch selbst - ich würde sagen: Clara ey, setz dich mal mit deinem Selbstwertgefühl auseinander, lern, Verantwortung abzugeben und auf deinen Körper zu hören und jetzt leg dich ins Bett, verdammt noch mal!
Das Gespräch führte Shaya Zarrin mit Lou Zucker.