Mit Witz und Sinn für die besondere Beziehung zwischen den Menschen und ihren Lieblingen erzählt der Tierarzt Hans Mauer wahre Begebenheiten aus den Jahrzehnten seiner Veterinärarbeit in seinem Buch »Mein Hund hat Burnout«. In dieser Leseprobe ist zu lesen, wozu Politiker fähig sind.
Auf den Hund gekommen
Tiere in der Werbung, das ist nichts Neues. Machten sie früher Reklame in eigener Sache, für Tierfutter etwa, müssen sie heute die Banken retten. Reicht die Strahlkraft eines Dirk Nowitzki nicht mehr aus, stellt man ihm einen Terrier zur Seite. Durfte der Hund früher einfach Stöckchen holen, schleppt er heute Dividenden ran.
Aber auch ein Hund kann nicht jedes Unternehmen retten. In der Nähe unserer Praxis gab es vor Jahren ein florierendes Reisebüro. Dann kam das Internet mit der Möglichkeit, vom Sofa aus zu buchen. Das Reisebüro litt unter Kundenschwund.
Eines Tages erschien die Inhaberin in der Praxis und bat um Erlaubnis, Werbepräsente bei uns zu verteilen. Genauer kleine Körbchen, gefüllt mit Süßigkeiten und einem Flyer: »Urlaub mit Kind!«
Ein Jahr später kam sie wieder und verteilte erneut Präsente. Diesmal kleine Körbchen, gefüllt mit Leckerli, und auf dem Flyer stand: »Urlaub mit Hund!«
Einige Jahre später musste das Reisebüro schließen. Ein Beate-Uhse-Laden zog ein. Ich wartete schon auf die Werbepräsente, kleine Körbchen gefüllt mit Dessous und einem Flyer: »Urlaub von der Ehe!«
Wenn der Hund zum Werbezugpferd in der Automobil- und Reisebranche taugt, warum dann nicht auch in der Politik?
Eine freundliche Dame mit ebensolchem Yorkshire Terrier betrat das Behandlungszimmer.
– Herr Doktor, bevor Sie anfangen, den Hund zu untersuchen, müssen Sie mir hoch und heilig versprechen, meinem Mann nicht zu sagen, dass ich mit Goldie hier war. Er hasst Hunde!
Ich nickte etwas irritiert und versicherte ihr, dass auch Tierärzte eine Schweigepflicht haben. Sie kam öfter mit Goldie, und jedes Mal hieß es: Mein Mann darf nichts wissen. Offiziell war sie immer beim Shoppen.
Die Tage gingen ins Land, Goldie wurde medizinisch gut versorgt, trotz unwilligen Herrchens. An einem Samstag erschien sie in der Notfallsprechstunde. Mitsamt Frauchen und, man staune, Herrchen. Ich ließ eine neue Kartei anlegen und begrüßte Frauchen wie eine neue Kundin. Sie schenkte mir einen dankbaren Blick, als ich fragte, was sie denn zu uns führe.
– Goldie hustet!
Das waren ihre letzten Worte, ab da übernahm Herrchen die Konversation. Er, Typ seriöser Landrat, hielt Goldie im Arm und schien völlig aufgelöst.
– Herr Doktor, Sie müssen Goldie unbedingt bis morgen wieder fit bekommen. Wir sind auf dem Weg nach Berlin zu einer wichtigen Wahlveranstaltung. Goldie sitzt neben mir im Wahlmobil, ganz vorne. Sie gibt mir viel Kraft im Wahlkampf.
Er wird es als Politiker weit bringen, dachte ich bei mir. Wer so gut lügen kann, schafft es mindestens bis in den Bundestag.
Ich untersuchte Goldie gründlich und machte eine Röntgenaufnahme vom Brustkorb.
– Goldie hat eine Kehlkopfentzündung und eine Bronchitis. Sie braucht Bettruhe und keinen parteipolitischen Tingelwagen.
– Herr Doktor, egal was es kostet, machen Sie Goldie reisefit! Ich werde ihr morgen auch ein Mäntelchen anziehen.
Seine Stimme klang sehr bestimmt und besorgt.
– Sie können Ihr ein Mäntelchen anziehen, aber ohne parteipolitisches Abzeichen – bitte!
Er überreichte mir seine Visitenkarte, die ihn als hochrangigen Politiker identifizierte. So erstellte ich einen Therapieplan für Goldie und mahnte nochmals an, die Patientin zu schonen.
– Sie sitzt doch bloß neben mir, Herr Doktor. Das Bellen übernehme ich!
Er hatte etwas von einem Rudelführer, Politiker brauchen das im Wahlkampfgekläffe.
Tagelang beschäftigte mich die Frage, ob da neben seinen politischen Regungen auch eine leichte menschliche Goldie gegenüber im Spiel war. Die Antwort fand ich in der Wochenendbeilage meiner Tageszeitung: »Berlusconi adoptiert einen Welpen! Seine politischen Berater empfahlen ihm, sich für den Wahlkampf einen Hund zuzulegen. Zwanzig Millionen Italiener sind Hundebesitzer!«
Der Arzt schweigt natürlich. Zwei Dinge aber darf ich über Herrchen verraten: Er kandidierte nicht für die Tierschutzpartei, und er hieß nicht Berlusconi.